Wenn sich Ende September die Theresienwiese in München in ein Meer aus weiß-blauen Festzelten verwandelt, beginnt für die bayerische Landeshauptstadt die "fünfte Jahreszeit". Das Oktoberfest, von den Einheimischen liebevoll "Wiesn" genannt, ist längst mehr als nur ein lokales Volksfest - es ist ein kulturelles Phänomen, das jährlich Menschen aus aller Welt anzieht.

Von königlicher Hochzeit zum Volksfest

Die Geschichte des Oktoberfests liest sich wie ein Märchen: Am 12. Oktober 1810 feierte Kronprinz Ludwig, der spätere König Ludwig I., seine Hochzeit mit Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen. Das Fest fand auf den Wiesen vor den Toren der Stadt statt - eben jenen Wiesen, die zu Ehren der Braut später "Theresienwiese" genannt wurden.

Was als einmaliges Pferderennen mit Volksfestcharakter begann, entwickelte sich über die Jahrhunderte zu einem festen Bestandteil des Münchner Kulturkalenders. Dabei überstand das Fest zwei Weltkriege, mehrere Cholera-Epidemien und sogar eine Inflation - Zeugnis der tiefen Verwurzelung dieser Tradition im bayerischen Selbstverständnis.

Die Wiesn heute: Ein Fest der Superlative

Moderne Zahlen zum Oktoberfest klingen fast unglaublich: Auf einer Fläche von 42 Hektar - das entspricht etwa 59 Fußballfeldern - erstreckt sich heute das größte Volksfest der Welt. In den großen und kleinen Festzelten finden gleichzeitig fast 100.000 Menschen Platz. 2019, im letzten Jahr vor der pandemiebedingten Pause, wurden über 7,3 Millionen Maß Bier ausgeschenkt, etwa 435.000 Brathendl verspeist und rund 6,3 Millionen Besucher gezählt.

Das Herz der Wiesn: Die Festzelte

Jedes der 14 großen Festzelte hat seinen eigenen Charakter. Das traditionelle Augustiner-Festzelt lockt mit dem einzigen Bier, das noch aus Holzfässern ausgeschenkt wird. Die Ochsenbraterei ist berühmt für ihre Ochsenspezialitäten, während das Schottenhamel-Festzelt als "Wiege des Oktoberfests" gilt - hier zapft der Oberbürgermeister traditionell das erste Fass an.

Das Festzelt ist dabei mehr als nur ein Ort zum Essen und Trinken. Es ist eine temporäre Gemeinschaft, in der sich Münchner, "Zuagroaste" (Zugezogene) und internationale Gäste treffen. Wenn die Kapelle "Ein Prosit der Gemütlichkeit" anstimmt, stehen alle gemeinsam auf den Bänken - ein Ritual, das die besondere Atmosphäre der Wiesn prägt.

Bierkultur auf höchstem Niveau

Das Oktoberfestbier ist eine eigene Kategorie - stärker als normales Bier und exclusiv von den sechs traditionellen Münchner Brauereien gebraut:

  • Augustiner: Der letzte unabhängige Münchner Traditionsbetrieb, geschätzt für sein Bier aus Holzfässern
  • Paulaner: Deren Ursprünge bis ins Jahr 1634 zurückreichen
  • Hacker-Pschorr: Die Brauerei mit dem ältesten Münchner Braurecht
  • Spaten: Bekannt für innovative Brautechniken seit dem 19. Jahrhundert
  • Löwenbräu: Mit dem markanten Löwen als Wahrzeichen
  • Hofbräu: Die einzige staatliche Brauerei unter den "Großen Sechs"

Jedes Bier wird in der traditionellen Maß serviert - einem Literkrug, dessen korrektes Einschenken eine Kunst für sich ist. Die Bedienungen, die oft bis zu zehn volle Maßkrüge gleichzeitig durch die engen Gänge der Festzelte balancieren, verdienen dabei höchsten Respekt.

Kulinarische Tradition neu interpretiert

Die Speisekarten der Festzelte spiegeln die Entwicklung der bayerischen Küche wider. Neben den Klassikern wie der knusprigen Schweinshaxe, dem traditionellen Wiesnhendl oder der obligatorischen Brezn finden sich heute auch zeitgemäße Interpretationen und vegetarische Alternativen.

Das Wiesnhendl etwa wird nach wie vor traditionell auf Buchenholz gegrillt, was ihm seinen charakteristischen Geschmack verleiht. Die Brezn - nicht zu verwechseln mit industriell hergestellten Laugenbrezeln - wird noch immer nach alter Handwerkskunst geformt und gebacken. Und auch wenn sich die Preise über die Jahre deutlich nach oben entwickelt haben, bleibt die Qualität der Speisen ein Markenzeichen der Wiesn.

Tracht: Zwischen Tradition und Trend

Die bayerische Tracht hat auf dem Oktoberfest eine bemerkenswerte Renaissance erlebt. Was noch vor wenigen Jahrzehnten als antiquiert galt, ist heute wieder selbstverständlicher Teil der Festkultur. Dabei geht es längst nicht mehr um historische Authentizität - die moderne Wiesntracht ist eine kreative Interpretation traditioneller Elemente.

Das Dirndl hat sich vom Arbeitskleid zur Festtagstracht entwickelt, mit einer großen Bandbreite an Stilen - vom schlichten Baumwollkleid bis zur aufwendig bestickten Seidenvariante. Bei den Herren reicht die Palette von der klassischen kurzen Lederhose bis zur kniebedeckenden "Krachlederne" mit aufwendiger Stickerei.

Praktische Tipps für Wiesn-Neulinge

Für einen gelungenen Besuch auf dem Oktoberfest empfiehlt sich etwas Planung:

  • Tischreservierungen sind besonders an Wochenenden unerlässlich und müssen meist Monate im Voraus erfolgen
  • An Werktagen sind die Zelte auch ohne Reservierung gut zugänglich, besonders mittags
  • Für Familien eignen sich die Dienstage besonders - dann gibt es ermäßigte Preise bei den Fahrgeschäften
  • Auch wenn viele Stände Kartenzahlung akzeptieren, ist Bargeld nach wie vor praktisch
  • Die U-Bahn ist die beste Anreisemöglichkeit - Parkplätze sind rar und teuer

Mehr als nur Bier und Brezn

Das Oktoberfest ist ein Spiegel bayerischer Lebensart - traditionsbewusst und zugleich weltoffen, bodenständig und doch spektakulär. Hier treffen sich Einheimische und Gäste aus aller Welt, Jung und Alt, Traditionalisten und Modernisierer. Die besondere Mischung aus jahrhundertealter Tradition und zeitgemäßer Interpretation macht das Fest zu einem einzigartigen Erlebnis.

Wer die Wiesn nur als Bierfest wahrnimmt, wird ihrer kulturellen Bedeutung nicht gerecht. Sie ist ein lebendiges Stück bayerischer Identität, das sich stetig wandelt und doch seinen Kern bewahrt. Hier werden Traditionen nicht nur gepflegt, sondern gelebt und weiterentwickelt - und genau das macht den besonderen Reiz des Oktoberfests aus.

So ist jeder Besuch auf der Wiesn eine Entdeckungsreise in die bayerische Kultur - ob man nun zum ersten Mal dabei ist oder schon seit Jahrzehnten die "fünfte Jahreszeit" in München feiert.

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